Hellmuth Opitz
Hellmuth Opitz

Gedicht des Monats


Langsames Löschen der Lichter

Dieser Sommerabend, der allmählich ausläuft
wie eine Langspielplatte, die du liebst.
Du lauschst ihr nach, der letzten Rille
Helligkeit, inmitten eines Bauerngartens,
der das Ende dieses Tages mit Furore begeht,
der seine Malven, Ranunkeln, Dahlien
an die Dämmerung verschwendet, während
du hier sitzt an diesem Kirschholztisch und
liest. Entziffern wäre das bessere Wort.

Das Schwindlicht geht nachlässig um mit den
Konturen der Dinge, der Schatten schluckt schon
die Schaukel da vorn, die Tischtennisplatte, dein
Blick federt noch einmal hoch vom Trampolin ins
Blätterwerk einer Linde, in der sich ein Restschimmer
verfangen hat, bevor er im Westen versickert.

Vom Löschteich her ein Platschen: Die Karpfen
schnappen nach Insekten. So viele winzige Tode,
die heute noch gestorben werden. Die Mücken
schwirren wie Gedanken in immer engeren Kreisen.

Dereinst mal so verlöschen dürfen wie dieser Abend,
hinausbegleitet von der Gnade eines solchen Sommers,
ja, allmählich verlöschen wie der letzte weiße Fleck
deiner Buchseite und dann: Völliges Dunkel und du
tastest auf dem Tisch schon mal vor, wie sie sich
anfühlt, die Zukunft, ihr Holz, ihre Maserung.

(aus: „Flauschnacht Rauschnacht, Pendragon 2022)