Hellmuth Opitz
Hellmuth Opitz - Neues von der Schreibtischkante

Das Loch danach

Ein Manuskript mit Gedichten abzugeben hat – bezogen auf den späteren Band – etwas von einer Wundertüte. Man hat die Reihenfolge festgelegt, in Kapitel aufgeteilt und dann weiß man nie, was nach dem ersten Satz-Durchgang herauskommt. Auf wieviel Seiten wird der Band hinauslaufen? Wie ist der Umbruch? Ergeben sich dadurch leere Seiten, die im Ablauf keinen Sinn ergeben? Bekommt man dann das Satz-Ergebnis zurück, gibt es oft genug noch einiges zu tun. Umgruppierungen, einen Umbruch anders fassen, damit nicht auf einer Seite ein einsames „Hurenkind“ überbleibt (so nennen Drucker und Setzer einen Umbruch, der so ungünstig ist, dass auf einer neuen Seite nur ein Vers bzw. eine Zeile steht). Und ja, bisweilen ist sogar ein neues Gedicht zu schreiben, um eine unverhoffte Lücke zu füllen. Diese Gedichte sind aber beileibe keine Lückenfüller. Ich habe in solchen Fällen immer vier, fünf Gedichte in petto, die noch nicht ganz fertig sind, die noch einen Impuls brauchen. Diesen Impuls verleiht dann plötzlich der finale Abgabetermin, die Deadline, der Redaktionsschluss. Der Druck gibt mir oft den nötigen kreativen Spin und die Gedichte, die bislang noch im Unfertigen verharrten, sind plötzlich vollendet, ehe ich weiß, wie mir geschieht. Ab dem Zeitpunkt, in dem das Manuskript im Druck ist und auch wenn der neue Band erscheint, falle ich in ein tiefes Loch. Der Gedanke, jetzt wieder mit einem „ersten“ neuen Gedicht anzufangen, lähmt mich. Letztes Mal dauerte es vom letzten Gedicht des Bandes „In diesen leuchtenden Bernsteinmomenten“ bis zum ersten neuen Gedicht dieses Bandes geschlagene acht Monate, in denen ich keine Zeile geschrieben habe. Ich hoffe, dieses Mal wird es nicht so sein. Vor allem hoffe ich auf Inspiration und dass ich mich dieses Mal aufraffen und ein Prosa-Projekt in Angriff nehmen kann. Das Problem des Lyrikers ist ja, dass er jeden Satz 100mal kontrolliert und nicht loslassen kann. Da geht die Unbefangenheit, eine Geschichte zu erzählen, natürlich flöten. Hoffen wir also, dass es anders wird. Es muss ja alles anders werden. Warum? Gute Frage.